Montag, 6. August 2012

Nur ein Fernsehmoderator

Den Tod eines syrischen Fernsehmoderators schildert die Berliner Morgenpost (1) unter Auslassung seines Namens, als handelte es sich nicht um ein menschliches Individuum sondern um eine vernachlässigbare Größe, die einem Vorgang zum Opfer fiel und nicht einem kaltblütigen Mord, der von den Tätern nach eigenen Angaben aus der nüchternen Überlegung heraus begangen wurde, damit anderen drohen zu können, wie es einer dem Duden entnommenen Definition der Vokabel Terror entspricht. Zu den Methoden des Terrors im Sinne der Definition gehört das Prinzip, exemplarische Gewalt auszuüben, um Angst zu verbreiten, die das Verhalten Unbeteiligter, aber auch Beteiligter beeinflussen soll. Terror ist als gezielter Einsatz öffentlicher Gewalt gegen Einzelne zum Zweck des Drohens gegen viele zu begreifen.

Unter der Überschrift "Syrischer Fernsehsprecher offenbar hingerichtet" versteigt sich der Autor dazu, seine plakative Behauptung mit einer passenden Ausschmückung zu erklären. Dem Ermordeten, so behauptet er wie aus dem Stegreif, sei vor seiner Tötung der Prozess gemacht worden, und fügt hinzu, dies habe eine sunnitische Extremistengruppe so mitgeteilt. Dass es sich bei dieser Gruppe um eine Brigade der in Syrien tätigen FSA handelt, verschweigt er ebenso wie den Namen des Ermordeten und die Tatsache, daß es sich bei der Entführung und Tötung des wehrlosen Mannes um eben jenen Prozess handelt, den das Bekennerschreiben erwähnt.



Muhammed Said, der am 19. Juli in seiner Wohnung überfallen und entführt wurde, war ein beliebter Kommentator des syrischen Fernsehens, seine Ermordung eine exemplarische Maßnahme, die im dazu veröffentlichten Bekennerschreiben jedem Syrer angedroht wird, der sich nicht dem Aufstand anschliesst, wie die auch für den Anschlag auf den Fernsehsender Al-Ikhbariya vom 27. Juni 2012, bei dem vor der Sprengung des Gebäudes sieben Mitarbeiter ermordet wurden, verantwortliche Fronteinheit einer Abteilung Medien des kooperierenden Djihadisten-Netzwerks Al Sham mitteilte, die laut einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters zum Al Sahaba Battalion der FSA gehört.

Aber nicht nur die unverhohlene Drohung, die mit diesem einmaligen Dokument des Terrorismus als Methode und Mittel zum Zweck einhergeht, und die Offenkundigkeit der Tatsache, dass sich eine benannte Brigade der FSA für den Mord verantwortlich erklärt, die sich als Kampftruppe des Netzwerks Sham bezeichnet und nicht etwa, wie die Berliner  Morgenpost behauptet, eine sunnitische Splittergruppe, sondern vor allem wohl ein beinahe unbedeutend erscheinendes Detail der Original-Veröffentlichung des Bekennerschreibens dürfte den Grund darstellen, aus dem über diesen Vorfall nur beiläufig berichtet wird. Es bezeichnet Muhammad Said als Medien-Schabiha.

Schabiha, so erklärte uns eine Flut von Presseberichten, seien alawitische Milizen, die bei Massakern im Gefolge der syrischen Streitkräfte in Erscheinung träten, und deren Motivation aus der Tatsache abgeleitet wird, dass die Familie Bashar Al-Assads der Minderheit der Alawiten angehört. Erst vor wenigen Tagen wurden Videos veröffentlicht, zu denen sogenannte Aktivisten angaben, sie zeigten die Hinrichtung in Aleppo stadtbekannter Anführer eines Clans sogenannter Schabiha, der den Namen Berri trage (3). Der Spiegel übernahm unkritisch einen Bericht dieser Aktivisten, demzufolge es sich um Drogenhändler, Mörder und Vergewaltiger handele (2). Dass der Berri Clan sunnitisch ist und nicht alawitisch berichtet der Spiegel nicht (4).

Damit verliert ein erheblicher Teil der Berichterstattung des letzten Jahres seine Grundlage, und Zeugenaussagen zu Massakern wie in Al-Houla verlieren ihre vermeintliche Bedeutung, wird doch das arabische Wort Schabiha von Aktivisten des syrischen Bürgerkriegs offensichtlich in ähnlicher Weise wie die eingedeutschte Vokabel Gangster als unspezifisches Schimpfwort verwendet.

Schabiha-Milizen spielten 1982 eine Rolle, als Rifaat Al-Assad, der als Schlächter von Hama bekannt wurde, alawitische Clans aus dem Nordwesten Syriens, der Heimatregion der aus Latakia stammenden Al-Assads, bewaffnen liess, um sie im Gefolge der Bombardierungen Hamas durch die ihm unterstehende syrische Armee nach einem Massenmord der Moslem-Bruderschaft an syrischen Kadetten für einen Rachefeldzug einzusetzen. Rifaat Al-Assad mußte nach seinem Putschversuch von 1983 gegen seinen Bruder Hafiz Al-Assad das Land verlassen, seine Anhänger wurden von dessen Nachfolger Bashar Al-Assad nach dessen Amtsübernahme vor Gericht gestellt.

Die in den 80ern bewaffneten Clans, denen man eine führende Rolle im syrischen Drogenanbau und grenzüberschreitendem Schmuggel nachsagte, gerieten in das Visier amerikanischer Drogenbehörden. Mit der von Hafiz Al-Assad nach dem Ende der Sovietunion in den 90ern vollzogenen Annäherung an den Westen, die dazu führte, dass die USA Syrien 1997 von der „Schwarzen Liste" der Drogen-Staaten nahmen, verloren sie an Bedeutung.

In den Berichten der Londoner Beobachtungsstelle, deren Betreiber Osama Ali Suleiman unter dem Pseudonym Rami Abdulrahman die gesamte Presse mit Nachrichten versorgt, die von Freunden Suleimans stammen sollen, spielen Schabiha-Milizen weiterhin eine Rolle, entspricht ihre Existenz doch dem Kenntnisstand eines Mannes, der Syrien schon vor mehr als zehn Jahren verliess (5).

1. http://www.morgenpost.de/politik/ausland/article108485543/Regierungstruppen-bombardieren-Millionenstadt-Aleppo.html
2. http://www.spiegel.de/politik/ausland/buergerkrieg-in-syrien-augenzeugenbericht-aus-aleppo-a-847607.html
3. http://www.spiegel.de/politik/ausland/aleppo-syrische-rebellen-richten-offenbar-assad-getreue-hin-a-847677.html
4. http://www.guardian.co.uk/world/2012/aug/03/syria-rebels-aleppo
5. http://www.syrianews.cc/sohr-syrian-observatory-for-human-rights-a-cheap-imitation/

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